Isarinstallation - Markus Heinsdorff

Spiel mit den Elementen Die bedrängendste existentielle Erfahrung der letzten zwanzig Jahre war zweifellos die Entdeckung, daß die „Natur“ auf der Erde „auszugehen“ droht, daß das ökologische Gleichgewicht der Schöpfung gestört ist, daß der Mensch den Planeten, von dem er lebt, irreparabel beschädigt hat und die Welt sich selber zugrunde richtet. Auf diesen Erkenntnisschock haben auch die bildenden Künste reagiert. Ja, eine der entscheidenden Gegenbewegungen gegen die von der Avantgarde nach dem Krieg aufgebauten Zwänge und gegen die vom Kunstmarkt in den letzten Jahren aufgestellten Wertvorstellungen preschte direkt in Richtung Natur oder Umwelt vor. Die Künstler beschäftigten sich mit den schwindenden Ressourcen der Erde und mit dem wachsenden Müll, sie holten die vier Elemente Erde, Wasser, Luft und Feuer in die Kunst zurück oder dokumentierten, wie der Mensch den Landschaften der Erde Gewalt antut. Der sinnliche Reiz dieser Arbeiten ergibt sich aus dem inszenierten Kontrast zwischen Rahmen und Inhalt. Die Materialien aus der Natur oder der städtischen Umwelt, die draußen im Freien ihre Heimat haben, bekommen drinnen im Ausstellungsraum, in der Galerie, im Museum eine vitale Aura. Die Konfrontation von heterogenen Elementen alarmiert die Sinne, sie macht etwas klar über die Kunst. Zumindest bei der ersten Begegnung glaubt man, einen frischen Luftzug im Raum zu spüren. Daß sich dieser Gegensatz zwischen Außenwelt und Kunstwelt mit umgekehrten Vorzeichen auch im Freien inszenieren läßt, hat Markus Heinsdorff in den letzten Jahren mit seinen Installationen in Stadtlandschaften bewiesen. Heinsdorff setzt Objekte, die großenteils auch in einem Innenraum als Skulpturen bestehen könnten oder aber Assoziationen an Gebautes hervorrufen, also der Architektur verpflichtet sind, wie Modelle im Maßstab 1:1 im Freien aus, konfrontiert sie mit einem Stück Natur oder einem Stück Stadtlandschaft, macht sich also die Diskrepanz zwischen zwei inkompatiblen Systemen zunutze. Das gezielt plazierte Kunstwerk bespielt den Außenraum, lädt ihn mit Energien auf, setzt ihn in Szene, macht ihn zum gleichberechtigten Partner. Der Raum aber ist nicht nur Hintergrundfolie und Spiegel für die Bewegungsspiele der Objekte, er setzt den Maßstab, in dem Bewegungen überhaupt erst einen Sinn bekommen. Der Freiraum interpretiert also die Installation, die Installation aber definiert den Raum, macht ihn bewußt, stellt ihn zur Schau. Das Thema Rahmen (Abschluß, Begrenzung), ohne das ein Kunstwerk nicht existieren kann, ist hier spielerisch gebrochen: Heinsdorff hat leere Leichtmetallrahmen so über den Isarkanal gehängt, daß sie sich bewegen, ständig neue Bilder einfangen, ständig neue Segmente aus der Umgebung herausschneiden. Die Stadtlandschaft rahmt das technische Kunstwerk, das seinerseits die Stadtlandschaft rahmt. Von einer Aussichtsplattform, zu der eine Treppe hinaufführte, konnte man damals im September 1990 auf das von den Ufermauern und den beiden Fußgängerbrücken begrenzte Stück Kanal, auf dieses von der Isar durchflossene Rechteck, dieses mit Wasserfarben gemalte bewegliche Bild im Boden hinunterblicken, man konnte das lebende Bild umwandern und die an den Drahtseilen hängenden luftigen Elemente beobachten: Mal schwebten die Metallrahmen flach über der Wasserfläche, mal richteten sie sich auf zu steilem Hochformat, mal drehten sie sich um ihre eigene Achse. Sie füllten sich mit Bildern, stellten mal das Wasser aus, mal den Himmel, mal die Kuppel der Lukaskirche, mal einen klassischen Landschaftsausschnitt mit einem querliegenden Horizont und Bäumen, die sich seitlich wie Kulissen aufbauten. Was war das also, was damals für sechs Wochen die Passanten beschäftigte: zweckfreie Architektur, eine verspielte technische Konstruktion, ein Stück gestalteter Stadtlandschaft, eine Installation im öffentlichen Raum, ein kinetisches Kunstwerk oder eine temporäre Skulptur? Wohl alles zugleich. Und doch noch etwas mehr: ein Stück Erfinderpoesie, ein Traum vom Fliegen, der mit den Elementen der Natur paktierte, auf der Erde verankert war, von der Luft bewegt wurde, im Wasser sich spiegelte und mit dem Licht spielte. Jedes Element trug etwas anderes zur Gesamtwirkung bei: Die Erdanziehung spannte die Drähte, sorgte für straffe Linien in der Aufhängung; der Wind bewegte die strenge Geometrie; das Wasser brach die Geraden und löste sie in schlängelnde Bewegungen auf und das Sonnenlicht bei Tag, die Scheinwerfer bei Nacht setzten ein vielfach bewegtes Schattenspiel in Gang. Heinsdorffs Freiluft-Installationen sind sozialkommunikative Skulpturen, die auch in desolaten Stadtlandschaften funktionieren müßten. Sie vermitteln auf ungezwungene Weise zwischen Architektur und Natur, zwischen zwei Erlebnisbereichen, die sich im 20. Jahrhundert extrem fremd geworden sind, ja sich, wie die Erfahrungen zeigen, gegenseitig fast immer um ihre mögliche Wirkung bringen und darum als streng getrennte Phänomene empfunden und behandelt werden. Auch die bildenden Künste hatten in den ersten sieben Jahrzehnten unseres Jahrhunderts größte Schwierigkeiten im Umgang mit der Natur und der gebauten Umwelt. Die Skulpturen, die in öffentlichen Parks aufgestellt wurden, kommunizieren weder im Material noch in den Formen mit der Umgebung, sie kapseln sich als Solitäre ab, auch wenn sie noch so weit ausholen, sie schmücken sich mit den atmosphärischen Reizen im Freien, geben aber selber nur störende Signale an die Außenwelt ab. Im Verhältnis zwischen Architektur und Kunst sah es in der Moderne kaum besser aus. Es gab zwar Architekten, die ganz passabel gemalt oder gebildhauert haben - ausgerechnet der mönchische Purist Le Corbusier war einer von ihnen - und es gab Künstler, die Häuser gebaut haben, wie Hundertwasser. Doch was da im Nebenberuf produziert wurde, ist allenfalls eine Fußnote in der Kunstgeschichte wert. Der Alltag in der trüben Nische zwischen Kunst und Baukunst heißt „Kunst am Bau“ und bezeichnet eine der tiefsten Talsohlen in der geistigen Landschaft unseres Jahrhunderts. Erst in den letzten Jahren sind die Eiswände zwischen den im Dreieck verfeindeten Erlebnisbereichen langsam aufgetaut. So kann es heute schon mal vorkommen, daß Architektur, Kunst und Natur irgendwo ein entspanntes Gespräch führen, sich in ihrer Gegensätzlichkeit spielerisch ergänzen, ja sich vielleicht sogar gegenseitig wirkungsvoll in Szene setzen - so wie damals am Isarkanal in München.

Dr. Gottfried Knapp
Journalist, Feuilleton der Süddeutsche Zeitung