Der Garten von Las-Fosses - Markus Heinsdorff

" ...und grüße (mir) die schöne Garonne ..." Markus Heinsdorff und der Künstlergarten von Las Fosses

Daß alte Bauernhäuser mit ihren Stallungen, Scheunen oder Weinkellern, zu Ferienhäusern umgestaltet werden, ist heute in Europa allgemein selbstverständlich. Vor allem in alten Kulturlandschaften, die ein touristisches Reizklima haben, wie die Provence in Frankreich oder die Toskana in Italien, sind in den letzten Jahrzehnten ganze Ortschaften und Landstriche mit jahrhundertealten bäuerlichen Strukturen zu Erholungsquartieren und Wochenend-Refugien umgebaut worden. Von den Baulichkeiten blieb dabei meist nicht viel mehr als die hübsch aufpolierten Außenmauern übrig; die Wirtschaftshöfe oder Nutzgärten um das Haus aber mutierten in der Regel zu Garagen, Sonnenterassen oder Rasenflächen mit pflegeleichten Ziergehölzen.

Von diesem ländlichen Ferienhaus-Prototyp, der sich in regionalen Varianten in allen europäischen Urlaubsgebieten findet, unterscheidet sich der Künstlergarten von Las Fosses in der Gascogne grundsätzlich. Er wurde in einem Zug als Erlebnis-Einheit gestaltet, also nicht, wie andere Ferienhausgärten, allmählich den Bequemlichkeits-Vorstellungen der Benutzer angepaßt.

Markus Heinsdorff, der Schöpfer des begehbaren Freiluft-Kunstwerks bei Agen ist Bildhauer, also kein Gartengestalter. Er hat innerstädtische Freiräume und große repräsentative Hallen in Verwaltungsbauten mit mobilen Installationen und Maschinerien bespielt und so die drei Dimensionen des Raums künstlerisch wirkungsvoll in Bewegung gesetzt und ins Bewußtsein gehoben.

Auch im Garten von Las Fosses hat Heinsdorff skulpturale Elemente frei in der Umgebung der heterogenen Bauten gruppiert; doch die Hauptarbeit war die Ordnung des vorher fast chaotischen Ensembles, die Aufteilung des Freiraums in genau definierte Erlebnis- und Funktionseinheiten, also die Revitalisierung und Nobilitierung der altertümlich ländlichen Strukturen durch eine sinnvolle Abfolge von (teilweise recht neuartigen) Erholungseinrichtungen und gärtnerischen Elementen. Für die bildnerische Ausgestaltung von Bauten und Gärten hat Heinsdorff die befreundeten Künstler Jon Groom und Andreas Horlitz eingeladen. Sie haben die Arbeit in einigen Details bedeutsam ergänzt. So entstand ein mehrteiliger moderner "Lustgarten", der das schweifende Auge behutsam lenkt, der in seinen individuell charakterisierten Partien die einzelnen Stufen der Inbesitznahme und Kultivierung von Landschaft nachvollzieht, also mit heutigen bildnerischen Mitteln etwas von der Ur- Faszination mitteilt, die in Gartenkreationen der unterschiedlichsten Epochen und Kulturregionen der Welt immer wieder wirksam war.

Das langgestreckte Grundstück von Las Fosses liegt oberhalb einer vielbefahrenen Nationalstraße inmitten von Feldern und Obstplantagen auf einem sanft abfallenden Talhang. Es ist auf der Bergseite von der langen Zeile der uneinheitlich geformten alten Ökonomiegebäude umschlossen. Auf der offenen Talseite grenzt eine niedrige, überrankte Mauer den Garten gegen die Felder ab. Die Aussicht hinaus in die Weite der Garonne-Landschaft wird allenfalls von den hochgeschossenen Pappeln jenseits der Mauer eingeschränkt. Ein jahrhundertealter Torturm erschließt das Garten-Geviert von der Schmalseite her. Zusammen mit dem fast trutzigen steinernen Riegel der Ökonomiegebäude weckt der Torturm Erinnerungen an die herrschaftliche Vergangenheit des Landguts. Das kleine, von Jon Groom auf den Putz gemalte Schwarz-Weiße-Quadrat über der Durchfahrt nimmt dem Tor seine bäurische Schwere.

Markus Heinsdorff hat die architektonischen Andeutungen auf dem Grundstück aufgenommen und mit wenigen Eingriffen gestalterisch herausgearbeitet. So bekam das wie zufällig wirkende Nebeneinander der landwirtschaftlichen Relikte eine fast hierarchische Ordnung, die in ihren Grundstrukturen immer wieder gärtnerische Urtypen evoziert. Mauern gehören - wie Bäume, Sträucher, Steine oder Wasser - zu den Grundelementen aller Gartenformen; ja erst die Umfriedung macht aus einem gezähmten, gepflegten Stück Natur, aus einem Feld oder einer Wiese einen Garten.

Bei allen kulturhistorischen Gartentypen - seien es die altägyptischen Wein- oder Fruchtlauben, die "hängenden" Wasser- und Schattengärten des Zweistromlandes oder der islamischen Welt, die Atriumanlagen der Römer, die Kloster-, Burg- und Minnegärtchen des Mittelalters oder die wie Landschafts- Miniaturen gestalteten Meditationsgärten des fernen Ostens - bilden die hohen geometrischen Umfassungsmauern und die eingezogenen Hecken und Zäune die Koordinaten der ästhetischen Grünordnung. Wo das Gelände aber abschüssig ist, sorgen gemauerte Terrassen und verbindende Treppen für eine effektvoll gestaffelte Abfolge bequem begehbarer Ebenen. Vor allem in der Renaissance, die sich wiederum auf antike Villengärten bezog, sind mit aufwendig planierten und gemauerten Terrassen und Treppenachsen in teilweise extrem steilen Berglandschaften grandiose Gartenkunstwerke geschaffen worden.

Im sanft abfallenden Landhausgarten von Las Fosses begleiten zwei Rosenhecken und ein paralleles, niedriges Terrassenmäuerchen den ebenen Fahrweg, der vom Eingangstor axial auf das Wohngebäude zuführt und dem ansonsten locker bespielten, auf die Landschaft hinaus sich öffnenden äußeren Garten geometrischen Halt und ein farbkräftiges Rückgrat gibt.

Für diesen Gartenteil - er hat den Charakter eines Obstgartens - hat Heinsdorff vier Skulpturen geschaffen. Auf der Rasenterrasse vor den ehemaligen Ökonomiegebäuden korrespondiert eine liegende lange Welle aus Stahl mit einer drehbaren stehenden Rundscheibe, die auf der einen Seite blau, auf der anderen bronzefarben aufleuchtet - eine bildnerische Hommage an die Elemente Luft und Wasser und an das fruchtbare Ackerland des schon von Hölderlin gerühmten Tals: " ... grüße (mir) die schöne Garonne ..."

Besonders das feuchte, fließende Element, das von der Wellenform im Eingangsbereich signethaft angekündigt ist, wird im Garten von Las Fosses wie ein Thema mit Variationen immer wieder phantasievoll herbeizitiert und durchgespielt. Auf der Baumwiese prägt sich eine fast monumentale Stahlskulptur ein: Aus einem Schiffs- oder lanzettförmigen, extrem flachen Wasserbecken im Gras steigen vier übermannshohe Pfeiltürme, die sich im Wasser spiegeln, am oberen Ende aber durch einen Querbalken miteinander verbunden sind, in die Höhe. Dieses Schiff, das, selber mit Wasser gefüllt, im Rasen zu schwimmen scheint, aber eine viel zu wuchtige Last trägt, ist eine eindrucksvolle moderne Paraphrase jenes altbeliebten Themas, das im rokokohaften verspielten Navicella-Brunnen am Fuß der Spanischen Treppe in Rom seine schönste Ausprägung gefunden hat; dort lädt das sprudelnde Wasser im Boot die Passanten ironisch zum Einsteigen ein.

Metamorphosen bekannter Gebrauchsgegenstände sind auch die beiden anderen Großskulpturen Heinsdorffs auf der Wiese: das drei Meter hohe, geschlitzte stählerne Rankgerüst in Vasenform, ein Hohlkörper, der erst durch die sich entfaltende, anklammernde Natur eine geschlossene Wandung bekommt , also zum Gefäß heranwächst. Oder das Taubenhaus: ein hochgestemmter Ring aus Stahlblech, in den man hineinsteigen kann; er bietet durch seine rechteckigen Öffnungen in Augenhöhe nach allen Seiten Ausblicke auf die Umgebung, schneidet also aus dem Landschaftspanorama eine Abfolge gerahmter Bilder. Der Betrachter kann wie ein Photograph den malerischen Ausblick selber wählen.

Auch hier macht Heinsdorff aus einer Positiv-Form - der Taubenturm, den man von außen betrachtet - eine Negativform, die von innen zu erleben ist; das assoziierte Motiv wird, wie bei dem Wasser tragenden Schiff auf der Wiese, quasi von innen nach außen gekehrt. Und wie die Meister des romantischen Landschaftsgartens überraschende Durchblicke auf besondere Gebäude quer durch die naturhaft kultivierte Landschaft freihielten, so bietet auch Heinsdorff in seinem Panoramaturm Ausblicke an, die die Landschaft zu einem Bestandteil der Kunst machen.

In der direkten Umgebung des Wohnhauses, also dort, wo intensiv gelebt wird, verdichten sich die gestalterischen Elemente. Zum Tal hin hat Heinsdorff dem Haus eine Terrasse mit einer Treppe vorgelagert; sie macht den Abhang spürbar und stellt die Verbindung her zum überdachten Sitzplatz neben dem Wohnhaus und weiter hinein in das Viereck des Innenhofs. Den Übergang aus dem Außen- in den Innenbereich markieren zwei Brunnen, die in sprechender Gestik das Hinüberwechseln aus einer Form in die andere demonstrieren: Aus einem gekippten Tonkrug fließt ohne Unterlaß Wasser in einen stehenden Tonkrug gleicher Größe; eine versteckte Hydraulik sorgt dafür, daß das Wunder der ewigen Wasserspende kein Ende nimmt.

Im Innenhof erlebt dann das Schiffsmodell aus dem Vorgarten seine praktische Nutzanwendung. Auf drei Steinsäulen ruht ein schwerer, massiver, schiffsförmiger Steintisch, dessen beide Spitzen abgenommen zu sein scheinen; sie liegen als Sitze flankierend am Boden. In die Oberfläche des Tisches hat Heinsdorff - früher wurde aus den Innereien der Fische die Zukunft gelesen - ein Mosaik mit vier illusionistisch schwebenden Fischen und einen Spruch von Paul Valéry eingelassen: "Der Wind erhebt sich; versuche Dein Leben zu leben." Wieder also eine Anspielung auf die Lebenselemete Wasser und Luft, die hier im Freien besonders intensiv und bewußt erlebt werden.

Vom Innenhof führt eine Tür in das ummauerte Geviert des Wassergartens hinüber. Dort gehen alle gestalterischen Elemente - Bauten, Skulpturales, Pflanzen, Licht, Luft und Wasser - eine intensive Symbiose ein. Um das von den Vorbesitzern auf den Hang gesetzte alte Schwimmbecken gegen den heraufflutenden Lärm der Nationalstraße zu schützen, hat Heinsdorff zum Tal hin eine sechs Meter hohe Mauer errichten lassen; sie erfüllt fast beiläufig eine ganze Reihe vitaler Zusatzfunktionen.

Von der Poolterrasse führt ein schmaler, offener Pavillon wie eine Brücke hinüber zur Außenmauer. Er beherbergt zwei beheizbare Sitzsteine und ein in den Boden eingelassenes Jacuzzi-Becken, also einen Whirlpool, der - nach einem Entwurf von Jon Groom - mit einem Zebra-Muster ausgekleidet ist. In die am Hang hochsteigende Außenmauer sind zwei kubische Baukörper schräg eingefügt. Der eine - er enthält zwei gemauerte Liegestätten - dient als Ruheraum und ist von der Jacuzzi-Halle aus über einen hohen Steg zugänglich. Der andere Kubus verbirgt im Untergeschoß die technischen Installationen, oben aber den Umkleideraum und die Toilette des Badehauses.

Auf der Bergseite, axial gegenüber dem zierlichen Jacuzzi-Tempel, hat Heinsdorff die niedrige Begrenzungsmauer geöffnet, um mit Steinbrocken ein künstlerisches Stück Natur zu formen, einen Wasserfall. Über den das Wasser bis direkt vor das Schwimmbecken herunterrauscht.

Hochkomplizierte moderne Badetechnik korrespondiert hier im Wassergarten also mit spielerisch eingesetzten Naturelementen, ja die künstlerischen Kontraste werden noch bewußt gesteigert: Direkt neben der ausgetüftelten Maschinerie des Whirlpools liegt ein kleines Biotop, ein Seerosenteich, ein Stück Ur-Natur. In einer anderen Ecke des Wassergartens recken sich Bananenstauden in die Luft. Diagonal gegenüber liegt eine Art Bootskiel aus Holz als Querbalken über dem Tor, das hinaus in den hinteren Hanggarten führt - eine weitere spielerische Variante des immer wiederkehrenden Ur-Bootes von Las Fosses.

Das einprägsamste Stück in der Erlebnislandschaft des Wassergartens ist aber der sieben Meter hohe Leuchtturm, der trotz seiner technisch aufwendigen Ausstattung ein fast vegetabiles Aussehen hat, wie eine aufblühende Königskerze dasteht: In drei Etagen übereinander trägt der Lichtmast je drei Leuchtkörper, die sich wie die "Schlafaugen" eines Autos auf Wunsch öffnen und schließen; Aluminium-Lamellen, von kleinen Motoren getrieben, heben und senken sich und schicken ein individuell differenziertes Licht in den nächtlichen Garten.

In dieser Erholungszone, die für eine intensive tägliche Nutzung konzipiert ist, verdichten sich also die gestalterischen Eingriffe. Die skulpturalen und gärtnerischen Elemente bekommen eine praktische Funktion, so wie umgekehrt die technischen Installationen in eine ästhetische Form gebracht und gestalterisch integriert werden.

Der schlichte Würfel des Ruheraumes - die kubische "Höhle" in der Lärmschutzmauer mit dem von Jon Groom gestalteten farbigen Glasfenster - bekommt ähnlich wie die rhythmisch möblierte Jacuzzi-Halle in der Abfolge der Freiräume um das Haus eine fast zeremonielle ästhetische Qualität, die über den praktischen Nutzen weit hinaus geht. Jenseits der Badeanlagen aber, im wenig benutzten hinteren Teil des Gartens, hat der Künstler Andreas Horlitz fünf große weiße Lichtkugeln so am Hang im Gras verteilt, daß auch bei Nacht die Tiefe des Gartens spürbar bleibt. Eine poetische Vision tut sich auf: Sterne, die auf den Boden gefallen sind, formieren ein Bild, ein schönes Rätsel. Heinsdorff kommt als Raumgestalter also jenem gartenkünstlerischen Ideal recht nahe, das in allen Kulturepochen bis zum Jugendstil gültig war: Die Einbauten im Garten und die gärtnerische Gestaltung stammen aus einer Hand. Architektur und Grünplanung wurden hier nicht, wie sonst fast überall, in weit auseinanderliegenden Planungsstadien aufeinander abgestimmt, sondern wie in den berühmten Gartenkreationen der Renaissance, des Barock oder des Klassizismus als künstlerische Einheit konzipiert.

Vor der Arbeit in Frankreich hat sich Heinsdorff kaum je mit gartentechnischen oder gartenhistorischen Überlegungen auseinandergesetzt; auch auf die kulturgeschichtlichen Besonderheiten der Region hat er sich nur mit wenigen Motiven eingelassen. Er reagiert in Las Fosses intuitiv auf die Zufälligkeiten des Terrains. So entstand ein Garten mit deutlich differenzierten, individuell charakterisierten Nutzungszonen.

In der Landschaft des Garonne-Tals, die von der Geometrie der endlosen Obstplantagen geprägt ist - die Pflaumen von Agen sind in ganz Frankreich berühmt -, nimmt sich der locker bestückte, offene Baumgarten mit den Stahlskulpturen recht ungezwungen aus. Von diesem "englischen Landschaftspark" hebt sich der "französisch-mediterrane Garten" in der direkten Umgebung des Wohnhauses wirkungsvoll ab: Geometrische Formen - die von Rosenhecken akzentuierte Achse des Zufahrtsweges und die Mauern der Terrasse - markieren die Zonen, die den Ritualen des täglichen Urlaubslebens gewidmet sind.

Der fast hermetisch geschlossene Raum des Wassergartens aber mit dem japanischen Badebecken, dem künstlichen Wasserfall, den elementar reduzierten Pflanzenanordnungen, der hohen Begrenzungsmauer, dem leichten Pavillon, dem Holzsteg und dem Lichtfächer, läßt fernöstliche Garten- und Erholungsformen als Vision aufscheinen. Die Lichtspur im Gras des rückwärtigen Gartens leitet mit bildnerischen Mitteln aus der verdichteten Erholungszone zurück in die freie Natur.

Markus Heinsdorff hat in Las Fosses bewiesen, daß künstlerische Arbeit in einem architektonisch-freiräumlichen Ambiente sehr viel mehr sein kann als das übliche Applizeren von vorgefertigten Kunstobjekten nach dem leidigen Additions-Prinzip "Kunst am Bau". Heinsdorff läßt sich hier nicht nur auf geistige Vorstellungen, sondern auch auf die physischen Bedürfnisse der Benutzer ein; die Objekte werden zum sinnlichen Gegenüber in einer privaten Erlebniswelt. Dieser Lustgarten ist nicht mit zusammengesammelten Kunstgegenstäden bestückt; er ist selber ein Kunstwerk. Seine Bestandteile sind für den Ort erfunden und am Ort geschaffen worden; sie laden ein zum sinnlichen Gebrauch. Sie erfüllen ihre ästhetische Funktion, indem sie praktisch funktionieren - und umgekehrt.

Dr. Gottfried Knapp
Journalist, Feuilleton der Süddeutsche Zeitung